Über das Loslassen

 

Vergangenes loslassen …

Ein älterer Mönch und ein junger Mönch waren gemeinsam zu Fuß auf dem Weg zu einem entlegenen Tempel. Sie erreichten einen Fluss, den sie überqueren mussten. Dort stand eine junge Frau, die ebenfalls auf die andere Seite des Flusses gelangen wollte und die Mönche um Hilfe bat. Der ältere Mönch nahm die junge Frau über seine Schultern, trug sie über den Fluss und setzte sie auf der anderen Seite ab.

Der jüngere Mönch war sprachlos und konnte nicht glauben, dass der ältere Mönch die junge Frau über den Fluss getragen hat, da es Mönchen untersagt ist, Frauen zu berühren. Der ältere und der jüngere Mönch setzten ihre Reise fort, ohne ein Wort miteinander zu tauschen.
Nachdem ein paar Stunden vergangen waren, konnte der jüngere Mönch sich nicht mehr zurückhalten und platzte heraus: „Als Mönche ist es uns nicht erlaubt, Frauen zu berühren. Wie konntest du dann die Frau über den Fluss tragen! ”

Der ältere Mönch sah ihn an und antwortete ruhig: “Ich setzte die Frau vor Stunden auf der anderen Seite des Flusses ab. Warum trägst du sie immer noch mit dir?”

Diese Zen-Geschichte, die ich hier frei nacherzählt habe, zeigt uns auf eine inspirierende Weise die Essenz des Loslassens.

Es zeigt uns das Loslassen des alten Mönchs, der aufgrund seines großen Mitgefühls über die monastischen Regeln hinwegsah, um der jungen Frau zu helfen. Er hat das Ereignis innerlich losgelassen, nachdem er die Frau am Flussufer absetzte.

Das Verhalten des jüngeren Mönchs ist ein Beispiel für das Nicht-Loslassen. Sein ständiges Grübeln über das vergangene Ereignis, seine Bewertung, Haltung des Nicht-Akzeptieren-Wollens hat sich explosionsartig in einem Vorwurf geäußert. Er war stundenlang geistig mit der Vergangenheit behaftet und verlor damit auch die Verbindung zum gegenwärtigen Moment.

Wenn uns Vergangenes unentwegt beschäftigt und keine Ruhe lässt, kann dies zu ungesunden Mustern führen (Groll, Reue, Bitterkeit, Enttäuschung, Schuldgefühle etc.) und aus Qigng-Sicht sich auf Dauer auf der körperlichen Ebene, insbesondere im Organsystem, manifestieren. Wenn wir Belastendes aus der Vergangenheit abstreifen, so wirkt sich dies positiv auf unseren Energiefluss und unsere Gesundheit aus.

Im Zhineng Qigong schulen wir unser Bewusstsein. Mit Achtsamkeit nehmen wir unseren Körper wahr und werden uns unserer Gedanken bewusst. Wir erkennen ungesunde Muster, und mit unserem Bewusstsein steuern wir unser Leben wieder in eine gesunde Richtung.

Im Folgenden möchte ich gerne eine Möglichkeit vorstellen, mit der wir lernen können, Vergangenes loszulassen.

Wie lasse ich los?

Es geht nicht darum, Belastendes aus der Vergangenheit einfach zu ignorieren, sondern mit Bewusstheit in einer gesunden Weise damit umzugehen: als allererstes zu erkennen, dass die Vergangenheit nicht geändert werden kann, wir aus den Erfahrungen lernen können und wir uns mit dem ständigen Zurückblicken selber nichts Gutes tun. Die Anhaftung an Vergangenes hält uns davon ab, im Hier und Jetzt zu sein.

Der erste Schritt ist also, die ungesunde „Gewohnheit“ zu erkennen.

Der zweite Schritt ist, mit dieser Erkenntnis eine bewusste Entscheidung für sich zu treffen: Ich möchte die Vergangenheit hinter mir lassen und mich von belastenden Gedanken befreien.

Der dritte Schritt ist, die getroffene Entscheidung umzusetzen: Wir akzeptieren unsere Vergangenheit. Wir lernen, zunehmend achtsamer zu sein und unsere Gedanken bewusst zu beobachten. Wenn wir merken, dass wir gedanklich wieder an der Vergangenheit anhaften, erinnern wir uns mitfühlend daran, zurück zum jetzigen Moment zu kommen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick, mit großer Aufmerksamkeit und Offenheit, frei von Bewertungen.

Mit der Zeit werden wir uns zunehmend weniger in der Vergangenheit verlieren. Wir werden stattdessen immer stärker im gegenwärtigen Moment präsent sein. Dies ermöglicht uns auch, unsere eigene Lebendigkeit intensiver zu spüren und die Lebensenergie wieder vermehrt in Balance zu bringen. Durch das Loslassen schenken wir uns inneren Frieden und innere Freiheit.

 

Lerne loszulassen,
das ist der Schlüssel zum Glück.
– Buddha